Exhibition view Heinrich Modersohn Produzentengalerie Hamburg, 2008

Opening
11 Jul 2008, 6 – 9 pm
 

Der 3. Tag nennt Heinrich Modersohn eine großformatige Leinwand. Die Assoziation zu einem elementaren Schöpfungsakt liegt nahe. Man befände sich danach in der Halbzeit. Für den Künstler gilt das Zwischenergebnis hingegen als Endzustand. Am dritten Tag sollte sein Bild abgeschlossen sein, oder es warten Zeiten der Durcharbeitung, und Erschaffung muss Vollendung weichen. Von Wachstum und Selbstorganisation der Natur ausgegangen, ist Modersohn in der Entfaltung und Freisetzung der Komposition selbst angekommen. Formen, Strukturen und Prozesse von Organismen sind ihm als Elemente und Aufbauprinzipien von Bildern zugewachsen. Dem Aquarell ist er nicht als Technik der schnellen Geste, sondern als Format des Keimens treu geblieben. Auf Leinwänden, die den Aufbruch in der Verschränkung von Draufsicht und Durchblick, Intimität und Panorama sinnfällig machen, führt er Tuschen und Öl zu einer thematisch und konzeptuell begründeten Melange zusammen. In den Materialschichten treffen sich Verflüssigung und Verfestigung, Fixierung und Veränderbarkeit als zwei Perspektiven und Richtungen des Übergangs.

Überraschend licht und farbenreich sind die jüngsten Arbeiten Modersohns ausgefallen. Neben zwei Leinwänden dominieren die Aquarelle. Unter diesen treffen vielschichtig durchgearbeitete Blätter auf eine Serie, die das Vokabular des Künstlers auffächert. Der Blick fällt dabei unmittelbar auf  Bausteine der Komposition und den Kanon des Malers: Linien sind unterwegs zur Gestalt, bewahren Abstand zu festen Formen wie Winkel oder Kurve und verweigern sich der Geste. Flächen schweben und vibrieren in ihrer reibungsvollen Binnenspannung und halten mögliche Ausdehnungen offen. Zarte, ungedeckte Farben, die gerade Licht erblickt zu haben und sich zu klären scheinen, werden zum Ausdrucksträger. Eine Dynamik der Andeutung hält das Auge des Betrachters in Bewegung.

In großformatigen Aquarellen, wo mehrere Schichten den Raum staffeln und verschiedene Zentren die Komposition öffnen, verweist die Transparenz des Farbmaterials auf die direkte, ungefilterete Reaktion des Künstlers beim Malen. Das Papier und die Leinwand sind Orte, an denen der Maler immer wieder neue visuelle Ereignisse initiiert. Ohne die Ursprünglichkeit der Impulse zu verdecken, werden die Bilder durch Übermalung neu ausgerichtet, weiter getrieben oder formal reduziert.Nicht die Fixierung von Ergebnissen, sondern die Verfolgung visueller Ereignisse vermittelt sich in amorphen Farbkörpern, schwebenden Flächen, lichten Bruchstellen und schroffen Übergängen. Damit wird ein Prozess in Gang gesetzt, der immer neue Bilder generiert und den Betrachter mitnimmt. Es entsteht eine Kreisbewegung wie ein Rondo, so auch der Titel der zweiten Leinwand, das sich nicht gleichbleibend auf der Stelle dreht, sondern bei jeder Kreisbewegung neues Material mitnimmt, sich häutet und anders auf das Ganze und seine Teile blicken lässt. Ausgang und Endpunkt verwandeln sich bei jedem Weg.

Heinrich Modersohn schafft und bewahrt Bild-Ereignisse, indem er ihren temporären Charakter zur Anschauung bringt, ihr Auf- und Abklingen in offene Bildräume komponiert. In diesem Strom steht  die Magie über der Illusion, das Geheimnis über der Gestalt. Seine Ästhetik des Zwischenraums befördert die Leerstellen zu Kernpunkten, wo sich das Vergangene und Künftige, die Ränder und das Zentrum, Flüssiges und Festes in einer explosiven Puppenruhe begegnen.

 

Text: Rainer Beßling